Rhöner Mundart: Kind und Kirche ist nicht gleich Kinderkirche
Was nicht in den Akten (=aufgeschrieben) ist, ist nicht in der Welt.
Die meisten Feste waren mit viel Kirchgang verbunden, mehr als an normalen Sonntagen, sogar mehrere Tage hintereinander. Es war dabei immer sehr geschmückt mit Gladiolen und anderen schönen Blumen, machmal sogar mit gelb-weißen Bändern vorne zwischen den Kranken- und den Kindergartenschwestern.
Die Kirche (Institution) sagte ja, dass das Kirchenjahr im Dezember beginnt. Na ja!
Die Adventszeit war schon speziell: Kleine Opfer sollte man bringen, und vielleicht nicht naschen und streiten.
Wer sowieso Frühaufsteher war, konnte mitten in der Nacht, da war es noch ganz dunkel draußen, um 6 Uhr früh, in die „Rorate“ Messe, bei der nur mit Kerzen beleuchtet war.
„Tauet Himmel, den Gerechten…“
Hauptsächlich die Frauen sind dort gewesen, die so eine Stunde länger Zeit für ihre Arbeit hatten, aber vorher schon mit dem Melken fertig sein mussten. Es gab dort allerhand Gerüche von den Kopftüchern und den Röcken.
Nikolaus und Weihnachten wurden natürlich, wenn Kinder da waren, hauptsächlich zu Hause gefeiert. Das hatte unsere Mutti geheimnisvoll, stimmungsvoll und sehr liebevoll vorbereitet, obwohl auch dabei auch noch zuerst gebetet werden musste bevor zweistimmig gesungen wurde und bevor man die Geschenke auspacken konnte.
Hatten wir uns gestritten- das soll ja immer einmal vorkommen, nicht nur bei Kindern- hieß es: Warte nur, wenn der Nikolaus kommt! Sein Knecht Ruprecht steckt dich in seinen Sack und nimmt dich mit.
Der Nikolaus hat uns erst die Leviten gelesen (geschimpft) und wollte dann Gebete hören, bevor er uns ein kleines Naschsäckchen gab. Oder es hieß: Da bringt dir das Christkind aber nichts!
Doch immer hat es geklappt und so war besonders Weihnachten zu Hause sehr schön.
Wer nicht gleich in sein Bett wollte, konnte mitten in der Nacht in die Mette. Dort war es aber bitterkalt. Die Hände haben gebitzelt, denn damals gab es keine Heizung und keine gepolsterten Bänke.
Es war feierlich, wenn in der dunklen Kirche „Stille Nacht“ gesungen wurde, aber wegen dieser Kälte und der harten Stühle war es nicht so gemütlich wie daheim.
An Weihnachten kam immer auf den linken Seitenaltar ein Glaskästchen, in dem ein Jesuskind lag. Es war in weiße Bänder eingewickelt, hatte einen weißen Kopf aus Wachs und sah aus wie eine Leiche oder wie eine dicke Made. Da konnte ich gar nicht hinschauen.
Am anderen Altar war es interessanter. Wenn man dort Geld eingewarf, nickte ein „Negerkind“. An Weihnachten gab es neben der Krippe auch ein mechanisches Spiel, bei dem es leuchtete, künstliches Wasser lief und ein Engelchen, herausgefahren kam, wenn man einen Zehner hineinwarf.
Am Morgen konnte man dreimal in die Messe, musste aber nur einmal- das in der Nacht (die Mette) hat nicht gezählt. Da hat der Orgelspieler, Herr Glöckner, der an den Sonn- und Feiertagen spielte, in die Tasten gegriffen und die Orgel geschlagen, dass alle aufwachten. Auch der Chor sang. Es war schön, hat aber sehr lange gedauert.
Unser Vati (er war schon immer etwas fortschrittlicher) sang jedes Jahr daheim nach der Messe: „Fröhliche Weihnacht überall!“. Damit war es erst einmal wieder gut… das war etwas Echtes, nach all den Liedern in der Kirche, die vielleicht Bilder waren und etwas anderes bedeuten sollten: Es ist ein Ros entsprungen, Tochter Zion freue dich. Es kommt ein Schiff geladen…
Am zweiten Feiertag ging es noch einmal in die Kirche, natürlich an all den Feiertagen in die Festandachten. Die Frauen hatten schon zu tun mit dem ganzen Kochen und Beten.
Zum Glück durfte nicht gewaschen werden in den Rauhnächten, wurde gesagt. Warum? – Darum? Von Wotan und seinem Heer sagte niemand etwas (obwohl sie sicher darum wussten), es wäre ja auch wirklich heidnisch gewesen.
Dreikönig war weiter nichts. Mutti hatte zu Hause eine Erbse in den Kuchen gebacken. Wer sie erwischt hatte, durfte an diesem Tag angeben, was gemacht wurde, auch für die Großen.
Nach der Messe hatte unser Vati auch immer ein Spezialliedchen: „„Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern, sie essen gern, sie trinken gern, sie essen, sie trinken und bezahlen nicht gern.“ Das konnte ich mir richtig vorstellen.
„Lichtmess (Fest) können die Herren am Tag essen“ (Bauernregel)
Heute gibt es den Blasiussegen, er ist gegen Halsschmerzen. Zwei übereinandergekreuzte Kerzen hält einem dabei der Pfarrer vor das Gesicht.
„Ich habe aber Bauchschmerzen. Gibt es dafür auch einen Segen?“
Nun, rede doch nicht so albern daher, so ein Mist!
Nach Fasching kam die Fastenzeit. Das war eine ernstere Zeit, in der nicht genascht werden und nichts Lustiges sein durfte, nicht einmal heiraten durfte man, vielleicht falls es sehr nötig war, wegen der Schande, das Kind unehelich auf die Welt zu bringen – oben am Kreuzberg.
Zum Auftakt am Aschermittwoch gab einem der Pfarrer mit der Asche das Aschenkreuz auf die Stirn, wobei man aufpassen musste, dass einem nicht etwas davon in die Augen gestreut wurde.
Am Sonntag vor Ostern, dem Palmsonntag, wurde in der Kirche die Passion gesungen, wobei man sich die meiste Zeit sogar setzen durfte. „Wen suchet ihr?“ Wenn dann die speziellen Sänger und Sängerinnen in den höchsten und tiefsten Tönen ihren altbekannten Text sangen, war das wirklich eine ergreifende Aufführung.
Alle wussten genau, wie es weitergeht, trotzdem blieb es spannend bis zum Schluss- und immer klappte alles gut. Am Heimweg danach wurde noch einmal über die einzelnen Solisten diskutiert.
Am Palmsonntag wurden auch die Palmkätzchen geweiht. Die steckte man in der Stube oder im Stall hinter die Kreuze. Sie sollten Unheil abwenden. (Damals waren Kreuze noch kein „Kulturgegenstand“ wie hier seit 2018)
Am Gründonnerstag war am Abend Kirchgang. Da flogen die Glocken nach Rom, wurde gesagt.
Warum?- Darum! Das ist schon immer so.
Es kam die stille Zeit, in der nicht geschellt und nicht geläutet werden durfte. Besondere Ministranten zogen mit ihren Klappern durch das Dorf, schon sehr früh, wie sie es heute auch noch machen, damit die Menschen wissen, was es geschlagen hat.
„Das ist der englische Gruß, den jeder katholische Christ beten muss. Ave Maria, Maria“.
(Dies wurde noch vor einem Jahr von den Klapperbuben gesungen. Sie wussten aber meistens nicht, was das bedeuten sollte.)
Karfreitag war ein strenger Fast- und Abstinenztag. Wir Kinder mussten nicht Hunger leiden. Am Morgen ging es zuerst auf den Friedhof, wo der Kreuzweg gebetet wurde und man von Station zu Station mitlaufen konnte.
Am Mittag, um die neunte Stunde, wobei es aber erst drei Uhr war, dauerte bis mindestens fünf Uhr die Karfreitagsliturgie. Die Erwachsenen brauchten danach aber einen Kaffee!!
Mesner und Pfarrer haben an den Altären herumhantiert und Tücher zu- und aufgedeckt.
Es war alles schwarz und sehr betrüblich. Das ganze Geschehen lief anders ab als sonst. Dann kamen die „Auf- und Niedergebete“, bei denen man aufpassen musste, dass man beim Knien und Aufstehn nicht aus dem Getue/ dem Takt kam.
„Flectamus genua, levate.“
Flectamus Genua, Venedig“- du pass auf!
„Lasset uns beten für die treulosen Juden“
Da wurde aber nicht gekniet. Das war eben das Ritual in diesen Nachkriegsjahren.
Am Schluss wurde das Kreuz auf die Altarstufen gelegt und die Leute gingen vor und sollten die Wunden küssen. Das mochte ich aber gar nicht gerne machen, wo jeder schon mit seiner Spucke hingeküsst hatte. Aber das gehörte sich so!
Am Samstag holten sich die Klapperbuben für ihr Klappern ihren Lohn:
“Wir klippern und klappern die Eier aus, die Eier aus.“
Mit einem großen Korb voll Eier sind sie mit einem kleinen Wagen hinunter zum Schorschmüllersbeck (Bäckerei) und haben sie verkauft.
Also in dieser speziellen Woche bestimmte der Kirchgang schon sehr den ganzen Tag. Dafür hatten wir Schulkinder aber auch extra Ferien, wurde gesagt.
Fortsetzung folgt!
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